Immanuel Kant wusste: Eine Definition steht am Ende, nicht am Anfang eines gelingenden Erkenntnisprozesses. Genau dies bewies das 3. Nachhaltigkeits-Symposium der Law Schools der Kalaidos Bildungsgruppe zur «nachhaltigen Entwicklung» vom 15. November 2024 in Zürich-Oerlikon.

Um diesen zunehmend rechtlich geprägten Begriff aus den verschiedenen Perspektiven miteinander zu verhandeln, kamen einen Nachmittag und Abend lang 17 Referierende und Panelistinnen und Panelisten aus den Universitäten Bern und Zürich, Justiz und Anwaltschaft, Unternehmen, Ethos Stiftung, den Branchenverbänden und Organisationen Swiss Sustainable Finance SSF, Swisscleantec und Plattform Agenda 2030, den Bundesämtern für Umwelt und für Sozialversicherungen, dem Eidg. Aussendepartement und der Eidg. Finanzverwaltung im Kalaidos Bildungszentrum zusammen. Organisiert und moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Daniel Dedeyan und Prof. Dr. Charlotte Sieber-Gasser.

Sie diskutierten Forschungsthesen aus dem von uns geförderten Forschungsprojekt «Nachhaltige Entwicklung im Schweizer Recht» von Prof. Dr. Charlotte Sieber-Gasser, Prof. Dr. Rika Koch und Dr. Elisabeth Bürgi-Bonanomi. Ein zahlreiches und äusserst interessiertes Publikum stellte brennende Fragen bis zum Schluss, als es draussen schon dunkel war, und setzte die höchst angeregten Gespräche am Apéro bis spätabends fort.

Wir schätzen uns glücklich, so vielen Expertinnen und Experten und dem wunderbaren Publikum aus den verschiedensten Sektoren zu einem so erkenntnisreichen Austausch eine Plattform geboten zu haben.

Nur wenige persönliche Highlights aus den Diskussionen seien herausgegriffen:

  1. Nachhaltige Entwicklung, im Unterschied zu Nachhaltigkeit, bezieht sich auf das Zusammenspiel der Systeme. Als Rechtsbegriff, wie er sich international herauskristallisiert, vereint nachhaltige Entwicklung letztlich die Elemente der verfassungsmässigen Staatsaufgabe per se: das langfristige Gedeihen der Gemeinschaft. Die damit angesprochenen Probleme verschwinden nicht, unabhängig davon, ob «Nachhaltigkeit» gerade en vogue ist oder nicht.
  2. Der Begriff ist deshalb nicht so unbestimmt, wie gemeinhin angenommen. Schwierigkeiten eröffnen sich dagegen bei der Umsetzung der damit verbundenen Ziele.
  3. Nachhaltige Entwicklung kann nicht unabhängig von Digitalisierung als Treiberin eines immer grösseren Energieverbrauchs einerseits und als Rahmenbedingung und Mittel zur Umsetzung andererseits gedacht werden, nicht zuletzt wegen des wachsenden Bedarfs an Datenverarbeitung.
  4. Um in der Umsetzung auf eine neue Stufe kommen, ist nicht auf immer komplexere, bürokratische Offenlegungsvorschriften, sondern auf eine Vereinfachung und bessere Vermittelbarkeit zu setzen. Noch zu wenig Wert gelegt wird auf die für die Umsetzung zentrale Planungssicherheit.
  5. Auch bei den Daten ist Vereinfachung das Gebot der Stunde und ist der Fokus von Vollständigkeit und Messbarkeit vermehrt hin zu Vergleichbarkeit in der Zeit zu verschieben.
  6. In seiner Abstraktheit beschreibt der Begriff weniger konkrete Handlungsvorgaben, sondern eröffnet gerade durch seine zunehmend rechtliche Prägung eine institutionalisierte Diskussionsplattform zwischen verschiedenen Akteuren mit oft konträren Interessen, und er hat das Potenzial, bereichsspezifisch eingefahrene Prozesse in Frage zu stellen.
  7. Die scheinbare Unversöhnlichkeit von Positionen verschiedener Akteure hat oft mit fehlenden persönlichen Kommunikationskanälen zu tun. Besteht eine Plattform, können sich überraschende Konsense bilden, wie in einem der Panels vor Ort geschehen.
  8. Ein prozedurales Verständnis ist umso nötiger, als sich in der Praxis etwa am Beispiel der über 10’000 verschiedenen schwer abbaubaren Chemikalien namens PFAS zeigt, dass sich nachhaltige Entwicklung nicht auf einen Schlag per Gesetz einführen lässt, sondern ein «moving target» ist. Dasselbe gilt für schleichende und damit im öffentlichen Bewusstsein in den Hintergrund tretende Prozesse wie den demographischen Wandel.
  9. Zudem gibt es auch nicht das eine richtige Regulierungsinstrument. So greifen z.B. Lenkungsabgaben zwar schonend über den Preis statt über Gebote und Verbote in die Wirtschaft ein. Doch nicht alle Problemfelder lassen sich über Preise steuern, man denke an die Geschlechtergleichstellung.
  10. Not tut eine bessere Verzahnung von Finanzindustrie und Realwirtschaft, die durch verstärkte Stewardship von Unternehmen sowie durch eine Konkretisierung der Nachhaltigkeitsstandards, welche bisher noch zu sehr von der Finanzindustrie her gedacht sind, auf Industriebetriebe zu erreichen ist.

Die Veranstaltung erwies sich damit selbst als lebendiges Beispiel ihres eigenen Themas: dass bei der «nachhaltigen Entwicklung» der Weg das Ziel ist.

Unser grosses Dankeschön dafür, dass dies möglich wurde, geht an unsere grossartigen Referierenden und Panelistinnen und die Panelisten:

  • Prof. Dr. Beat Brändli (Schiffbau Rechtsanwälte, ZLS)
  • Dr. iur. Xenia Karametaxas (Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF)
  • Prof. Dr. Rolf H. Weber (Universität Zürich)
  • Christa Markwalder (Zurich Insurance Group)
  • Matthias Narr (Ethos Stiftung)
  • RA Katja Brunner, LL.M. (Director Legal & Regulatory bei Swiss Sustainable Finance SSF)
  • Dr. iur. Judith Schäli (Universität Bern)
  • Dr. iur. Christine Bühler (INTERFACE Politikstudien)
  • Prof. (FH) PD Dr. Mirina Grosz (Poledna RC AG, Universität Basel)
  • MLaw Rahel Zimmermann (Ecosens AG, Universität Genf)
  • Fabian Etter (Dachverband Swisscleantech, CEO4Climate)
  • Markus Reubi (Delegierter des Bundesrats für die Agenda 2030 am Eidg. Aussendepartement EDA)
  • Isabel Junker (Bundesamt für Umwelt BAFU)
  • Marc Elsener (Eidg. Finanzverwaltung)
  • Dr. iur. Eva Maria Molinari (Universität Basel)
  • MLaw RA Sabrina Ghielmini (Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern Kanton Bern)
  • Dr. oec. publ. Alain Gut (IBM)
  • Astrid Wüthrich (Bundesamt für Sozialversicherungen)
  • Eva Schmassmann (Plattform Agenda 2030)

Ein ausführlicher Tagungsbericht folgt in Kürze.

Verfasst von Prof. Dr. Daniel Dedeyan, LL.M. (Yale).

Impressionen des Forschungssymposium (Flickr)

> Bitte auf die Vorschau klicken, um mehr zu sehen

Kalaidos Law School & ZLS Zurich Law School Nachhaltigkeitssymposium 15. November 2024

ZLS Zurich Law School

Institut für Rechtswissenschaft
Jungholzstrasse 43
8050 Zürich

KLS Kalaidos Law School

Jungholzstrasse 43
8050 Zürich
Wiese
Symposium
15.11.2024 13:30 – 19:15 Uhr, anschliessend Networking.Apéro
Kalaidos Bildungszentrum, Raum 651/652, Jungholzstrasse 43, 8050 Zürich-Oerlikon (Nähe Bahnhof)

Nachhaltige Entwicklung

Forschungssymposium an der ZLS Zurich Law School 

mehr erfahren
mehr erfahren
Facebook Twitter Xing LinkedIn WhatsApp E-Mail